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Kaufrecht 2022: Neues zu Gewährleistung und Digitalprodukten

Weitreichende Änderungen im Kaufrecht zum 1. Januar 2022

Das im BGB geregelte Kaufrecht wird zum 1. Januar 2022 durchgreifend verändert. Anlass sind die Umsetzung zweier EU-Richtlinien vom 20. Mai 2019, namentlich der Warenkauf-Richtlinie EU-Richtlinie 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, die an Stelle der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie tritt, sowie der Digitale-Inhalte-Richtlinie Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (EU-Richtlinie 2019/770). Die neuen Regelungen finden auf alle ab dem 1. Januar 2022 abgeschlossenen Kaufverträge und Verträge über digitale Produkte Anwendung.

Neben einer umfassenden Überarbeitung des hier im Fokus stehenden (Kauf-)Gewährleistungsrechts mit dem „Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“ wurde das BGB um zahlreiche Spezialregelungen im Zusammenhang mit der neu gebildeten Kategorie „Verträge über digitale Produkte ergänzt. Die Änderungen betreffen nicht nur die im Fokus der Richtlinien stehenden Geschäfte mit Verbrauchern, sondern es wurde auch in das Verhältnis zwischen Geschäftspartnern im B2B Bereich eingegriffen. Diese Änderungen entfalten auch Auswirkungen im geänderten Kaufrecht, wenn Kaufverträge digitale Elemente mitumfassen oder einen Bezug zu Verbraucherverträgen über die Bereitstellung digitaler Produkte aufweisen.

Sachmangelbegriff erweitert

Dafür, ob eine Ware mangelfrei ist, kommt es nach § 434 BGB (neu) ab Januar 2022 nicht mehr alleine darauf an, dass der Kaufgegenstand die zwischen den Parteien vereinbarten (subjektiven) Eigenschaften erfüllt, sondern zugleich muss diese auch objektiven Anforderungen genügen, d.h. die Kaufsache muss sich (auch) für die „gewöhnliche Verwendung“ eignen und eine „übliche Beschaffenheit“ aufweisen, wofür u.a. Maßstab die Übereinstimmung mit öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder Dritter (!) aus der Vertragskette ist.

Auch „optimistische“ Werbeaussagen eines Zwischenhändlers können also darüber bestimmen, ob eine Ware im rechtlichen Sinne frei von Mängeln ist. Besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass beispielsweise ein Ausstellungsstück, um den Spuren der Benutzung Rechnung zu tragen, zu einem verminderten Kaufpreis verkauft werden soll, bedarf es einer ausdrücklichen „ negativen“ Beschaffenheitsvereinbarung, also einer Übereinkunft darüber, dass die Sache gegenüber allgemeinen Anforderungen zurückbleibt, damit die Voraussetzungen einer mangelfreien Lieferung eingehalten sind.

Gegenüber Verbrauchern sind derartige Vereinbarungen allerdings nur wirksam, wenn sie vor Vertragsschluss ausdrücklich auf abweichende Eigenschaften aufmerksam gemacht wurden und die Abweichung im (Kauf-) Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde. Bei digitalen Produkten und Sachen mit digitalen Elementen erfordert eine mangelfreie Lieferung zudem die Bereitstellung von Aktualisierungen während des vertraglich vereinbarten Zeitraums, bzw. bei Verbrauchern für den Zeitraum, für den die Bereitstellung aufgrund der Art und des zwecks der Ware unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrages erwartet werden kann. Erweitert wurde der Mangelbegriff schließlich dahingehend, dass zu einem mangelfreien Kaufgegenstand nunmehr auch die Verpackung und eine (taugliche) Gebrauchs- und Montage- oder Installationsanleitung gehört.

Gewährleistung beim Verbrauchsgüterkauf

§ 475d BGB (neu) regelt in zahlreichen Fällen die Entbehrlichkeit einer Nachfristsetzung im Rahmen der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen durch Verbraucher. Ab Mitteilung des Mangels durch den Verbraucher läuft eine (fiktive) „angemessene“ Frist zur Nacherfüllung.

Nach § 477 BGB (neu) wird die Beweislastumkehr, wonach vermutet wird, dass ein Mangel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat, von bisher sechs Monaten auf ein Jahr verlängert.

§ 475e BGB (neu) sieht vor, dass Gewährleistungsansprüche nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach erstmaligem Auftreten verjähren, sodass sich die vertragliche Gewährleistungspflicht im Extremfall auf 26 Monate verlängert.

Umfasst das jeweilige Geschäft auch die dauerhafte Bereitstellung digitaler Elemente, so verjähren Ansprüche wegen eines Mangels an den digitalen Elementen nicht vor dem Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des Bereitstellungszeitraums, § 475e BGB (neu). Ansprüche wegen einer Verletzung der Aktualisierungspflicht verjähren in diesen Fällen nicht vor dem Ablauf von zwölf Monaten vor dem Ende des Zeitraums der Aktualisierungspflicht.

Schließlich hält das neue Recht bei Geschäften mit Verbrauchern noch eine ganz besondere Überraschung bereit: Nach § 475 Abs. 3 S. 2 BGB (neu), schließt weder die Kenntnis des Mangels des Käufers, der Verbraucher ist, bei Vertragsschluss noch dessen grob fahrlässige Unkenntnis Gewährleistungsansprüche aus. Im B2B-Geschäftsverkehr bleiben derartige Ansprüche bei Kenntnis des Käufers aber weiter ausgeschlossen.

Verschärfung der Regelungen betreffend Garantien

Nach § 479 BGB (neu) sind Verbrauchern Garantieerklärungen zukünftig spätestens mit Vertragsschluss auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen, sie haben detaillierte Erläuterungen zu enthalten, wie sie geltend zu machen sind und den Hinweis darauf, dass die gesetzlichen Gewährleistungsrechte daneben bestehen und unentgeltlich geltend gemacht werden können.

Verbesserte Rückgriffsmöglichkeiten gegen den Lieferanten

Damit Wiederverkäufer nicht auf ihrem Schaden sitzen bleiben, wurden die Möglichkeiten von Verkäufern, ihre Lieferanten in Regress zu nehmen, dadurch verbessert, dass die bisherige zeitliche Höchstgrenze von maximal fünf Jahren nach § 445b Abs. 2 S.2 BGB (alt) ersatzlos gestrichen wurde. Ist der letzte Vertrag in der Lieferkette ein Verbrauchervertrag über die Bereitstellung digitaler Elemente verweist § 445c BGB (neu) auf die Regressregelungen zum neuen Vertragstypus in § 327t f. BGB (neu).

Handlungsbedarf für Lieferanten und Verkäufer

Die neuen Regelungen gelten für Verträge, die ab dem 1. Januar 2022 geschlossen werden. Vertragsformulare, Verkaufsunterlagen und vor allem AGB bedürfen daher einer rechtzeitigen Anpassung. Vor allem klare Beschaffenheitsvereinbarungen sind für den B2B-Bereich in gleicher Weise wichtig wie für das Geschäft mit Verbrauchern. Für das Geschäft mit digitalen Produkten und den Handel mit Waren mit digitalen Elementen sollte jetzt unbedingt zeitnah der genaue Umfang der Informations- und Lieferpflichten und deren Aufteilung zwischen Verkäufer(n) und ihren Lieferanten geregelt werden, um die Gelegenheit zu nutzen, Aktualisierungspflichten auf eine klare einvernehmlich definierte Grundlage stellen zu können. Zu beachten ist bei alldem immer, dass die Mehrzahl der neuen Regelungen für das B2C- Bereich nicht wirksam abbedungen werden können.