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Auskunftspflichten von Rechtsanwälten: BGH beendet jahrzehntelange Diskussion über Direktanspruch der Rechtsschutzversicherung

Mit Urteil vom 13. Februar 2020 hat der Bundesgerichtshof (BGH, Az.: IX ZR 90/19) ein von PASCHEN Rechtsanwälte erstrittenes Urteil des Landgerichts Berlin (Az. 5 S 22/18) bestätigt. Danach haben Rechtsschutzversicherer einen eigenen Auskunftsanspruch gegenüber dem Anwalt, der ihren Versicherungsnehmer vertreten hat, soweit es um Kostenfragen geht. Diese müssen sich also nicht auf die Auskunft durch ihren Versicherungsnehmer verweisen lassen. Damit ist eine lange und kontrovers zwischen Anwälten und Rechtsschutzversicherern diskutierte Frage endlich höchstrichterlich entschieden.

Die Ausgangslage

Das Dreiecksverhältnis zwischen Versicherungsnehmer/Mandant, Rechtsanwalt und Versicherer ist im Regelfall ein eingespieltes Miteinander. Der Anwalt als juristischer Profi kümmert sich hierbei typischerweise für den von ihm vertretenen Mandanten auch um die Kommunikation mit dessen Rechtschutzversicherung. Dies klappt regelmäßig reibungslos. Schwierigkeiten können sich jedoch ergeben, wenn diese Handhabung mit eigenen Interessen des Anwalts kollidiert. Dazu kann es insbesondere kommen, wenn bei der kostenmäßigen Abwicklung etwas schief gelaufen ist. Der Rechtsschutzversicherer, der meist hinsichtlich aller Verfahrenskosten in Vorleistung gegangen ist, hat ein verständliches Interesse daran, zu erfahren, was aus dem Vorgang geworden ist. War der Anwalt erfolgreich? Hat er auch etwaige Kostenerstattungsansprüche verfolgt? Ist er mit seiner eigenen Abrechnung insoweit up to date?

So sehr Anwälte es schätzen, durch die Existenz der Rechtschutzversicherung eine Vielzahl von Verfahren mit einem solventen „Kostenschuldner“ führen zu können, der auch dann für ihr Honorar einsteht, wenn die Erfolgsaussichten überschaubar oder der Gegner erkennbar nicht leistungsfähig ist, so wenig Enthusiasmus bringen sie gelegentlich auf, wenn es um die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen des Finanziers geht.

In einigen Fällen finden sich daher Versicherer in der Situation wieder, dass sie trotz mehrfacher Nachfrage über den kostenmäßigen Stand der von ihnen finanzierten Rechtssache keine Antwort bekommen.

Eigener vertraglicher Anspruch des Versicherers 

Seit rund 40 Jahren umstritten war die Frage, ob die Versicherung in dieser Situation einen eigenen Anspruch gegen den Anwalt auf Auskunft über die kostenmäßige Abwicklung des Mandats hat, oder ob dieser insoweit auf seinen Mandanten als Vertragspartner des Versicherers verweisen darf. Mit Urteil vom 15. Januar 1980 (Az.: 4 U 48/79) hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf hierzu festgestellt:

Ein Rechtsanwalt, der im ausdrücklichen Auftrag seines Mandanten bei dessen Rechtsschutzversicherer um Deckungsschutz und Zahlung von Kostenvorschüssen nachsucht und auf diese Weise selbständig und ohne Beteiligung seines Mandanten Vorschußzahlungen für seine Honorare sowie Gerichtskosten entgegennimmt, ist verpflichtet, dem Rechtsschutzversicherer Auskunft über die kostenmäßige Abwicklung der Verfahren zu geben.“

Das OLG argumentierte hierbei damit, dass der Versicherungsnehmer den Rechtsanwalt mit der Kostendeckung aus dem Interesse heraus beauftrage, mit der kostenmäßigen Abwicklung der Angelegenheit nicht belastet zu werden. Das Ziel des Anwalts liege darin, auf Gebühren und Vorschussanforderungen rasch Zahlungen zu erhalten. Damit würde eine Erteilung der – vom Versicherungsnehmer nach den Versicherungsbedingungen geschuldeten – Auskunft über die kostenmäßige Abwicklung durch diesen „arbeitsmäßig einen Umweg“ bedeuten, lägen doch dem Anwalt alle notwendigen Informationen bereits vor.

Bei dieser Interessenlage sei der Auftrag des Versicherungsnehmers an den Rechtsanwalt, auch die Kostendeckung einzuholen, so zu verstehen, dass dieser beinhalte, zugleich auch stillschweigend einen Vertrag zugunsten des Versicherers i.S.v. § 328 Abs. 1 BGB abzuschließen. Dieser berechtige dann den Versicherer, selbst, Auskünfte über die kostenmäßige Abwicklung von dem Anwalt zu verlangen.

Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht betreffe zwar auch diese Informationen, der Rechtsanwalt würde aber von seinem Mandanten, dem Versicherungsnehmer, von dieser Schweigepflicht mit dem Auftrag zur Einholung der Kostendeckungszusage regelmäßig stillschweigend entbunden.

Die Grenze dieses Anspruchs zog das OLG Düsseldorf bei der Frage, ob dem Versicherungsnehmer Kostenerstattungsansprüche entstanden seien, die infolge der Bevorschussung dem Versicherer zustehen könnten. Dies sei – so das OLG – eine Rechtsauskunft, die der Versicherer nicht vom Versicherungsnehmer und damit auch nicht von seinem Anwalt verlangen könne.

Anspruch aus übergegangenem Recht

Das OLG München ging in einem Urteil vom 9. November 1998 (Az.: 31 U 4403/98) einen anderen Weg: Es machte sich die Begründung der Vorinstanz (LG München I, Urteil vom 2. Juni 1998 zum Az. 34 O 1997/98) zu Eigen und argumentierte, der Versicherer werde infolge gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 67 VVG a.F. (neu: § 86 Abs. 1 VVG) Inhaber der Kostenerstattungsansprüche, etwaiger Rückzahlungsansprüche von unverbrauchten Gerichtskosten und insbesondere auch etwaiger Rückzahlungsansprüche gegen den Anwalt selbst. Damit sei die Endabrechnung auch gegenüber dem Versicherer vorzunehmen. Das Problem der Verschwiegenheitspflicht wurde in diesem Zusammenhang nicht diskutiert.

Ablehnende Haltung zahlreicher Instanzgerichte

Ausdrücklich gegen ein eigenes Auskunftsrecht der Versicherung sprach sich unter anderem das Amtsgericht Bonn (Urteil vom 8. November 2006, Az.: 13 C 607/05) aus:

Danach verstoße ein Anwalt gegen seine Verschwiegenheitspflicht gem. § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO, falls er nach Erteilung der Deckungszusage und Übernahme des Rechtsschutzversicherers durch eine andere Gesellschaft Auskünfte hinsichtlich überzahlter Beträge erteile. Zwar sah das AG den gesetzlichen Anspruchsübergang gem. § 67 VVG a.F., § 86 Abs. 1 VVG n.F. sowie auch den daraus gem. §§ 402, 412 BGB folgenden Übergang der Auskunftsansprüche,  die vormals dem Versicherungsnehmer gegenüber dessen Anwalt zustanden, als gegeben an. Das Gericht war aber der Ansicht, dass die Verschwiegenheitspflicht als speziellere Vorschrift den Anwalt gleichwohl an der Auskunft und sogar an der Auskehr vereinnahmter Beträge direkt an den Versicherer hindere. Soll heißen: Der Versicherer wurde nach dieser Ansicht zwar Inhaber des Auskunftsanspruchs, konnte diesen aber wegen der entgegenstehenden Verschwiegenheitspflicht des Anwalts nicht durchsetzen. Die Idee einer konkludenten Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die Bitte um Abwicklung der Kommunikation im Zusammenhang mit der Kostendeckungsanfrage wurde hier nicht erörtert.

Diese Ansicht griffen verschiedene andere Instanzgerichte und sogar Anwaltskammern auf (AG Aachen, Urteil v. 1. April 2010, Az.: 112 C 182/09; AG Frankfurt am Main, Urteil vom 16. Oktober 2012, Az.: 30 C 1926/12; AG Brandenburg an der Havel, Urteil vom 14. August 2015, Az.: 35 C 26/15; Beschluss des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Köln vom 7. November 2015, Kammerforum 1/2016, S. 3).

Diese Rechtsprechung verkannte jedoch, dass der Rechtsanwalt notgedrungen regelmäßig bereits mit der Kostendeckungsanfrage Informationen aus dem Mandatsverhältnis offenbart, so dass die Schweigepflicht bereits zu diesem Zeitpunkt berührt ist. Sie stellte außerdem Anwälte vor das Dilemma, Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten auskehren zu müssen (§ 4 Abs. 2 S. 1 BORA) – wobei dies in diesem Falle offenkundig nur der Versicherer sein konnte – zugleich aber mit der Auszahlung Informationen über den Verlauf des Mandates preiszugeben (vgl. AG Bonn, a.a.O.), die vermeintlich der Verschwiegenheitspflicht unterlagen.

Die Sicht des BGH 

Vor diesem Hintergrund hatte nun der BGH mit seinem Urteil vom 13. Februar 2020 (Az.: IX ZR 90/19) über das direkt an den Anwalt eines Versicherungsnehmers adressierte Auskunftsersuchen eines Rechtsschutzversicherers zu entscheiden. Auch hier hatte der Anwalt die Kostendeckungsanfrage gestellt, Kostenvorschüsse angefordert und erhalten. Zudem hatte er einen Teilbetrag der bevorschussten Kosten ohne weitere Erläuterung an den Versicherer zurückgezahlt.

In dem von Kollegen aus dem Versicherungsteam von PASCHEN geführten Verfahren folgten die Vorinstanzen dabei dem Weg des OLG München und bestätigten das Bestehen des Auskunftsanspruchs des Versicherers gegen den Anwalt infolge des gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 86 Abs. 1 VVG. Zur Verschwiegenheitspflicht entschieden sie, dass der Anwalt vom Versicherungsnehmer bereits mit dem Auftrag zur Kostendeckungsanfrage hinsichtlich Kostenfragen gegenüber dem Versicherer von der Schweigepflicht konkludent entbunden worden sei (LG Berlin, Urteil vom AZ.: 5 S 22/18).

Dem schloss sich der IX. Zivilsenat des BGH im Ergebnis an. Auch der BGH ging von einem Anspruch des Versicherers aus, der sich aus dem gesetzlichen Anspruchsübergang gem. § 86 Abs. 1 VVG i.V.m. §§ 401, 412 BGB analog i.V.m. §§ 675, 666 BGB ableite.

Dabei stellte das Gericht zunächst fest, dass die Rechtsschutzversicherung eine Schadenversicherung sei, für die die Regelung des § 86 Abs. 1 VVG gelte. Der hieraus folgende gesetzliche Anspruchsübergang erfasse auch Ansprüche, die nur angelegt, aber noch nicht voll entstanden seien. Dies gelte auch für den Kostenerstattungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen dessen Prozessgegner, der dem Grunde nach bereits mit Klageerhebung entstehe, aber bis zum Erlass einer entsprechenden Kostengrundentscheidung aufschiebend bedingt sei.

Mit Bevorschussung der Rechtsverfolgungskosten habe die Klägerin dem Versicherungsnehmer im Sinne von § 86 Abs. 1 VVG „den Schaden ersetzt“, so dass der mit der Klageerhebung aufschiebend bedingt entstandene Kostenerstattungsanspruch schon mit Leistung der Zahlung auf den Versicherer übergegangen sei.

Der BGH stellt in diesem Zusammenhang auch fest, dass sich der Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner des Versicherungsnehmers in einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten gem. § 667 BGB gegen den Anwalt des Versicherungsnehmers wandelt, wenn und soweit der Prozessgegner Kostenerstattungen an diesen leistet. Der zur Herausgabe verpflichtete Anwalt könne sich nicht auf § 407 BGB berufen, sondern habe unmittelbar an den Rechtsschutzversicherer zu leisten.

Dem Übergang des mit Zahlung durch den Gegner des finanzierten Prozesses auf den Versicherer übergegangenen Herausgabeanspruchs gem. § 667 BGB folgten in entsprechender Anwendung der §§ 412,401 BGB die ursprünglich dem Versicherungsnehmer zustehenden Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung gem. § 666 BGB. Da diese Hilfsrechte in § 401 BGB nicht ausdrücklich benannt seien, die Interessenlage aber dieselbe, sei § 401 BGB auch auf Hilfsrechte wie etwa Auskunftsansprüche anzuwenden, die zur Durchsetzung der Forderung erforderlich sind.

Hinsichtlich der Reichweite des Auskunftsanspruchs stellt die Entscheidung ausdrücklich klar, dass dieser nicht nur die bereits vom Rechtsanwalt ausgekehrten, sondern insbesondere auch bereits vereinnahmte, aber noch nicht abgerechnete Beträge umfasst. Der Versicherer habe nämlich auch einen Anspruch darauf, zu erfahren, ob eventuell noch weitere Erstattungszahlungen vom Anwalt erlangt worden seien.

In aller Deutlichkeit macht der BGH abschließend klar, dass die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht der Durchsetzung des Auskunftsanspruchs nicht entgegensteht. Zwar sei auch diese – wie jede aus dem Mandat erlangte – Information grundsätzlich von der Pflicht zur Verschwiegenheit umfasst, der Anwalt werde aber durch den Versicherungsnehmer mit Erteilung des Auftrags zur Kostendeckungsanfrage konkludent von der Schweigepflicht entbunden.

Unser Fazit

Der Entscheidung des BGH ist uneingeschränkt zuzustimmen. Mit der systematisch gut verankerten Herleitung, dass der Auskunftsanspruch dem gesetzlichen Übergang der Ersatzansprüche gem. § 86 Abs. 1 VVG folge, schafft der BGH dringend benötigte  Rechtssicherheit. Diese konnte mit dem vom OLG Düsseldorf angenommenen stillschweigenden Vertrag zugunsten Dritter nicht in gleichem Maße erreicht werden, da – anders als beim gesetzlichen Anspruchsübergang – bei der Auslegung des Willens des Versicherungsnehmers im Moment des Vertragsabschlusses immer Restunsicherheiten verbleiben.

Der BGH klärt auch den Umfang des Auskunftsanspruchs. So bezieht sich dieser auf alle Informationen, die zur Geltendmachung oder Durchsetzung der auf den Versicherer übergegangenen Ansprüche seines Versicherungsnehmers gegen dessen Anwalt erforderlich sind. Dabei stellen die Richter  ausdrücklich klar, dass dieser Auskunftsanspruch auch die Frage des Entstehens von Kostenerstattungsansprüchen umfasst. Dies hatte das OLG Düsseldorf seinerzeit noch verneint.

Zutreffend bestätigt die Entscheidung des BGH zudem die richtigen Feststellungen des OLG Düsseldorf hinsichtlich der Interessenlage der Beteiligten: Die Gewährung des Auskunftsanspruchs des Rechtsschutzversicherers direkt gegenüber dem Rechtsanwalt vermeidet unnötigen „arbeitsmäßigen Mehraufwand“ und die bei Zwischenschaltung des Versicherungsnehmers zwangsläufig entstehenden Fehlerquellen, wie mangelnde Sachkenntnis oder hieraus entstehende Missverständnisse. Auch dem Interesse des Versicherungsnehmers, sich um Kostenfragen keine Gedanken machen zu müssen und mit der Abwicklung der Kostenseite keinen Aufwand zu haben, wird mit dieser Entscheidung Rechnung getragen.

Schließlich bedeutet die Entscheidung auch endlich die lange überfällige Rechtssicherheit für die Anwaltschaft. Betroffene Rechtsanwälte können nunmehr guten Gewissens ihrer Verpflichtung nachkommen, beim Gegner realisierte Kostenerstattungsansprüche an den Versicherer auszukehren und über die kostenmäßige Abwicklung Auskunft zu geben, ohne befürchten zu müssen, in Konflikte mit ihrer Verschwiegenheitspflicht zu geraten. Durch die Klarstellung, dass die Bitte um Einholung der Deckungszusage jedenfalls auch die stillschweigende Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht umfasst, entfällt zudem auch ein diesbezüglicher Dokumentationsaufwand.