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Insolvenzanfechtung: Erste BGH-Entscheidung nach Inkrafttreten der Reform

Die Rechtsprechung des für das Insolvenzrecht beim Bundesgerichtshof (BGH) zuständigen IX. Zivilsenats zur sogenannten Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO hat Gläubigern in den vergangenen Jahren mehr und mehr Kopfzerbrechen bereitet. Die Einräumung großzügiger Zahlungsbedingungen an Abnehmer, die sich – oft nur vorübergehend – in einer angespannten finanziellen Situation befinden, geriet mehr und mehr zum unkalkulierbaren Risiko. Nach Übernahme des Vorsitzes des Senats durch Prof. Godehard Kayser, der im Herbst dieses Jahres altersbedingt ausscheiden wird, hatte sich in dem Bemühen, Insolvenzverwaltern den Nachweis illegitimen Zusammenwirkens des späteren Insolvenzschuldners mit einzelnen Gläubigern zu erleichtern, eine mit dem Gerechtigkeitsempfinden oft nicht mehr zu vereinbarende „Vermutungsrechtsprechung“ entwickelt,  der es noch dazu an klaren Strukturen und verlässlichen Regeln fehlte, auf die die Betroffenen sich hätten einstellen können.

Die Insolvenzrechts-Experten bei PASCHEN sind täglich mit diesem Thema konfrontiert. Wir hatten uns daher als Interessenvertreter des Bundesverbands Credit Management (BvCM) bereits seit 2013 im politischen Bereich für eine Reform des Anfechtungsrechts stark gemacht. Diese Anstrengungen waren im Frühjahr 2017 endlich von Erfolg gekrönt: Das entsprechende Reformgesetz ist dann am 5. April 2017 in Kraft getreten.

Für alle Insolvenzverfahren, die nach diesem Datum eröffnet wurden, gelten folgende Änderungen gegenüber der vorherigen Gesetzeslage:

  • Der Anfechtungszeitraum für Deckungshandlungen (Bezahlung von erbrachten Lieferungen und Leistungen) ist von zehn auf vier Jahre reduziert.
  • In diesen Fällen wird hinsichtlich der Kenntnis nicht mehr an die „drohende“, sondern an die „eingetretene“ Zahlungsunfähigkeit angeknüpft, wenn eine sogenannte kongruente Deckung vorlag. Dies ist der Fall, wenn die Art und Weise der Zahlung den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen entsprach.
  • Hat der Gläubiger dem Schuldner Zahlungserleichterungen gewährt, wird vermutet, dass er eine etwaige Zahlungsunfähigkeit nicht kannte – der Insolvenzverwalter muss in diesen Fällen den (Gegen-)Beweis führen, dass der Gläubiger doch hiervon Kenntnis hatte.
  • Sogenannte Bargeschäfte (zwischen Leistung und Gegenleistung liegt ein kurzer Zeitraum) sind nur noch anfechtbar,  wenn der Gläubiger erkannt hat, dass sein Schuldner unlauter gehandelt hat.
  • Für Arbeitsentgelte wurde der Zeitraum für das Vorliegen von Bargeschäften sogar auf bis zu drei Monate festgeschrieben.
  • Anfechtungsansprüche werden nur noch ab Verzugseintritt (nicht beginnend ab Insolvenzeröffnung) verzinst.

Am 7. Mai 2020 hatte nun der BGH erstmals Gelegenheit, sich in einer Entscheidung mit dem „neuen“ Recht zu befassen. In dem unter dem Aktenzeichen IX ZR 18/19 geführten Verfahren ging es um die Anfechtung durch eine Bank erlangter Zahlungen aus einer mit einem Unternehmenskunden getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung über einen zuvor wegen nicht gezahlter Darlehensraten fällig gestellten Kredit.

Die von dem Gericht anlässlich der Entscheidung veröffentlichten Leitsätze führen zur Frage der Vermutungsregelung bei Abschluss einer Zahlungsvereinbarung Folgendes aus:

    1. Bei der Vermutung, dass der andere Teil im Falle einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung nicht kannte, handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung.
    2. Zur Widerlegung der Vermutung kann sich der Insolvenzverwalter auf alle Umstände berufen, die über die Gewährung der Zahlungserleichterung und die darauf gerichtete Bitte des Schuldners hinausgehen.
    3. Die Vermutung kann auch durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die bereits vor Gewährung der Zahlungserleichterung bestanden und aus denen nach der gewährten Zahlungserleichterung wie schon zuvor zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu schließen war.

Nicht ganz widerspruchsfrei zu seinen eigenen Leitsätzen hat das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich offengelassen, ob, „wie die Revision meint, die Vermutungswirkung des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO über die Begründung des Gesetzesentwurfs hinaus nicht nur die der Gewährung einer Zahlungserleichterung typischerweise zugrundeliegende Bitte des Schuldners umfasst, sondern auch die typischerweise mit dem Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung einhergehenden Begleitumstände wie Lastschriftretouren und ausgebliebene Darlehenszahlungen“ (RN. 20).

Hiermit müsse man sich nicht befassen, da die Ratenzahlungsvereinbarung nicht den bis zur Kündigung überfälligen Darlehensbetrag, sondern den nach Fälligstellung offenen Gesamtdarlehensbetrag betreffe (RN. 20 a.E.).

Das Gericht verwies die Sache mit der formalen Begründung zur erneuten Entscheidung zurück an das Berufungsgericht, dass das angegriffene Urteil keine Feststellungen dazu enthalte, dass die verklagte Bank Kenntnis von der unternehmerischen Tätigkeit der Darlehensnehmerin gehabt habe und es damit an Feststellungen dazu fehle, dass man mit einer Benachteiligung anderer Gläubiger gerechnet habe.

Der IX. Zivilsenat bleibt damit einstweilen seiner „Tradition“ treu, den betroffenen Gläubigern handfeste Hinweise schuldig zu bleiben, was sie bei einer schonenden, die rücksichtlose Zerschlagung wirtschaftlicher Werte vermeidenden Durchsetzung legitimer Ansprüche genau beachten müssen, um nicht in die Gefahr der späteren Anfechtung zu geraten. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise ist dies besonders bedauerlich.

Einziger „erfreulicher“ Aspekt dieser Vorgehensweise für betroffene Gläubiger: Es bleibt weiterhin Spielraum für eine Argumentation auch mit den Vermutungsregeln des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO.

Mehr zum Thema Insolvenzanfechtung finden Sie hier. Alle Informationen zur anfechtungsrechtlichen Privilegierung von Zahlungen während der Krise durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) finden Sie in unserem Top-Thema hierzu.